Fachberichte Renold Quade crescendo … aus den Notenschrank „Ukrainian Rhapsody” von Franco Cesarini Der Krieg in der Ukraine ist jetzt, wo ich über dieses Stück schreibe, über hundert Tage alt. Erscheinen wird der Artikel wohl im Septem- ber. Was in der Zwischenzeit so al- les geschehen ist und noch ge- schehen wird? Ich an meinem Ende der Welt fühle mich eher hilflos, auch wenn ich mein Gewis- sen versuche, mit der ein oder an- deren Unterstützung, die man halt so leisten kann, ein wenig zu be- ruhigen. Musik, ja die bringt im Konflikt sicher keine Lösung, aber sie hilft sicher auf Ebenen wie Trost, Nachdenkhilfe, Perspektiv- , Harmonie-, Sinnstiftung, Hoff- nung und lenkt bestenfalls viel- leicht die Gedanken auch einmal wieder zurück auf Besinnung und auf Erkenntnisse, die wirklich wichtig sind für unser Leben. Als Franco Cesarini in den 1980ger Jahren diese Musik schrieb, da war es ein Mix von Landschafts- eindrücken, Melancholie und Le- bensfreude, die ihn zu diesem Stimmungsbild anregte. Der Komponist Geboren 1961 in Bellizona, im Schweizer Kanton Tessin, begann er seine musikalische Berufsaus- bildung am Konservatorium Gui- seppe Verdi in Mailand, wo er zu- nächst Flöte und Klavier studierte. Später setzte er seine Studien am Baseler Konservatorium fort. Pe- ter-Lucas Graf (Flöte), Robert Su- ter und Jaques Wildberger (Theo- rie und Komposition) und Felix Hauswirth (Blasorchesterleitung) zählen zu seinen Lehrern. Seit 1998 ist er beständig Diri- gent des Sinfonischen Blasorches- ters „Civica filarmonica di Luga- no“ und seit 2011 auch aktiv beim „Blasorchester der italienischen Schweiz (Ofsi)“. Als Komponist und Arrangeur ist er hauptsächlich in der Blasor- chesterszene tätig. Sein Schaffen für Kammerensembles, für Solo- Instrumente, Gesang, Klavier, Streichquartett und Sinfonieor- chester sollte dabei aber nicht un- erwähnt bleiben. Er engagierte sich in der WASBE, unterrichtet Blasorchesterdirektion und Gast- dirigate und Musikwettbewerbe führten ihn über die Schweiz hi- naus in zahlreiche Länder Europas, Nord- und Südamerikas. Die Idee Die „Ukrainian Rhapsody“ ist ei- nes der ganz frühen Werke von Franco Cesarini. Die erste Versi- on, die „Rhapsodia Ukraina“, stammt aus dem Jahre 1979 und wurde von der „Civica Filarmoni- ca Bellizona“ unter der „Direzio- ne: Carlos Julio Pezzuto“ uraufge- führt. Eine zweite Fassung erstell- te er im Jahre 1984. Die endgültig gedruckte entstand im Jahr 1993. Das Werk hat somit einen 14-jäh- rigen Reifungsprozess durchlebt. Die Verlagswelt macht, knapp zusammengefast, wie folgt Appetit auf das Werk: Die Ukraine ist ein Land, in dem folkloristische Musik zu allen Zeiten eine wichtige Rolle spielte. Sie erstreckt sich über eine enorme Fläche. Im Norden gibt es weitläufige Wälder, im Westen malerische Berge und Tä- ler und in der Mitte und im Süden liegt die berühmte Steppe mit ih- rem fruchtbaren schwarzen Bo- den. Der Fluss Dnjepr teilt das Land in westliche und östliche Re- gionen, die jeweils ihre eigenen folkloristischen Traditionen ha- ben. Diese Vielseitigkeit bildet die musikalische Basis dieses dreisät- zigen Werkes. Franco Cesarini ergänzt auf Rückfrage: „Ja, die Volksmusik der Ukraine war eindeutiger Impuls- geber. Das erste und das letzte Drittel zitieren originale Volkswei- sen, der ruhige Mittelteil ist rein von mir komponiert. Hier hatte ich, optisch und plakativ, zum ei- nen die großen Felder und die ein- fache Landwirtschaft vor Augen. Zum anderen aber auch, eng da- mit verbunden, emotional und stimmungsbestimmend, den Aus- druck von tiefer Melancholie bei entbehrungsreichem Leben im Sinn.“ Der Aufbau Ein fanfarenartiger Ruf (Trompe- ten / Posaunen) eröffnet über vier Takte. Ihm folgt über weitere vier Takte eine sanfte Weiterführung im Holz und, beginnend mit der enggeführten Vorwegnahme des in A folgenden Kopfmotivs der ers- ten Volksweise, die Schlussphase der Einleitung. A, B, und C präsentieren nuan- cenreich in Tempo und Instrumen- tation eine erste muntere, tänze- rische Volksweise. Charmant das Dialogisieren der Register. Dyna- mik und Artikulation tun ihr übri- ges. Der „Tanz“ ist sofort nachvoll- ziehbar. Das eigentlich viertaktige Lied „The Young Girl Was Married Off“ – was so viel bedeutet wie: „Die junge Dame soll (aus wirtschaftli- chen Gründen) recht früh verhei- ratet werden“ - nimmt ab D Raum ein. Nach eintaktiger Einleitung, lediglich einer kurzen rhythmi- schen Standortbestimmung, folgt eine agogisch geschickt über fünf Takte (mit Taktwechsel) angelegte erste Präsentation, gefolgt von ei- ner vollkommen anders instru- mentierten Wiederholung dieses Gedankens, nun über lediglich vier Takte. E lässt das „Tanzmotiv“ von A wieder aufleben und lässt es ab F, charakterlich verändert, in neu- em, eher melancholischem Licht, erscheinen. Hier findet die Stim- mung, die Cesarini ab G mit sei- ner Eigenkomposition im Adagio anstrebt, eindeutige Vorbereitung. Der Einsatz z. B. von „Herdenglo- cken“ in der Percussion unter- streicht diesen Eindruck, fußend auf Cesarinis bereits im Vorfeld angekündigter Intension. Die zweite Hälfte von F redu- ziert sich melodisch auf ein klei- nes Motiv und führt das Werk „calmando“ in den langsamen Mittelteil. Der beginnt bei G mit Tonartwechsel. Nach kurzer zwei- taktiger Einleitung folgt ein do- risch geprägter Zwischenteil, der nun endgültig das, bislang zumin- dest, als heiter zu bezeichnende Stimmungsbild spürbar verändert, gar intensiv eintrübt. In H dann das eigentliche Hauptthema in der Oboe (auch Englischhorn möglich) über 8 Takte mit kurzem, aufhellendem Nachspiel und ab I kurzem aufhellendem Vorspiel, be- vor sich die Hörner wieder des Themas annehmen. In L dann die dritte Wiederaufnahme im dichten Partiturbild (bei mäßiger Dyna- mik) aber harmonisch sicher „de- pressivster“ Ausdeutung. Die Fort- führung ab M wirkt dann, unter- strichen von der dynamischen Steigerung, erlösend und hoff- nungsstiftend, bevor dieser Teil dann ruhig, und wenn man so will, in Demut ausklingt. N und O lassen dann aber schnell die Melancholie des Mit- telteils vergessen. Fröhliche Tri- angelschläge und ein Trommel- wirbel eröffnen ein „allegro“, wel- ches zweimal, unterschiedlich in- strumentiert, ein heiteres, zwei- teiliges Lied präsentiert, das im ukrainischen Liederbuch mit „Il pastore“ (Der Hirte) bezeichnet wird. Dem schließt sich, nicht minder heiter, ein weiteres Lied, „La rana e la cavalletta“ (Der Frosch und die Heuschrecke), in P an. Im Original ist dies ein Drei- ertakt, der aber hier im Zweier- takt aufgebarbeitet, auch seine Wirkung entfalten kann. Q bremst mit „meno mosso“ und Wiederaufnahme von „Il pas- tore“ das Geschehen noch einmal ein. Ein „Zwischenatmen“, bevor es dann ab S (allegro) in die ei- gentlich finalen Runden des Wer- kes geht. Ein munterer Mix aus „Il pastore“ und „La rana e la ca- valleta“ bestimmt die noch aus- stehenden rund 80 Takte. Wenn auch die Idee des tänzerischen Gopaks klar dominiert und das Tempo sich grundsätzlich immer wieder leicht steigert, ist noch ein wenig Geduld und Raffinesse ge- fragt. Abwechslungsreich gesteu- ert durch Motivik, Dynamik und Wiederholung dauert es noch ein wenig, bevor das Werk dann schließlich recht furios und ein- deutig ausklingt. Eine Einordnung Die „Ukrainian Rhapsody“ ist im „Level 4“, also in der anspruchs- vollen Mittelstufe, bzw. Oberstufe angesiedelt und gehört da auch hin. Jedes Register kommt zu sei- nem Recht und hat durchweg reiz- volle Aufgaben. Die Darstellung der folkloristischen Melodien ist jederzeit gut durchdacht, immer wieder „anders“ und somit immer wieder interessant. Bis hin zu Kurzeinsätzen z. B. von Dämpfern 16