Fachberichte Renold Quade „St. Thomas Choral“ von Pavel Staneˇk crescendo … aus den Notenschrank Einfach so, aus Spaß an der Freude“, habe er die- ses Werk geschrieben. „Erst viel später habe ich es Sieg- fried Rundel zur Herausgabe an- geboten“, erzählt Komponist Pavel Staněk. Sicherlich, er hatte beim Schreiben schon eine Idee von Festlichkeit und Würde, aber nicht direkt, unmittelbar und zweckge- bunden einen religiösen Ansatz. Die Freude an klanglichen Effek- ten, die durchaus raffiniert unter- halten sollten, stand wohl im Vor- dergrund. Wenn Musik Asso - zia tionen erweckt Siegfried Rundel, Musiker und Verleger mit Instinkt und Phanta- sie, Pragmatiker und Visionär, der hatte sofort eine Idee, in welchem Segment diese Musik zu platzie- ren sei. Ein plakativer Titel sollte die durchaus choralhafte Musik in die Herzen der Menschen füh- ren. Und so stellte er die Weichen, wie Pavel Staněk sich erinnert. „Der „St. Thomas Choral“ hat sei- nen Namen nach der Thomaskir- che auf der sog. Kleinseite in Prag. Ich hatte dort vor langen Zeiten als Kontrabass-Student die Weihnachtsmesse von Jan Jakob Ryba gespielt. An diese Stimmung habe ich mich dann gerne erin- nert.“ Der Komponist Pavel Staněk, was für eine Persön- lichkeit, was für ein musikanti- scher Lebenslauf. Nein, er ist nicht mit einem Blasinstrument in der Wiege zur Welt gekommen. 1927 in Prag geboren, studierte er dort zunächst Kontrabass, mu- sizierte im Staatlichen Lieder- und Tanzensemble und wurde ebenda auch bald Chorleiter. Ab 1954 war er für sechs Jahre Dirigent des Musikkorps des Innenministeri- ums, dem heutigen „Orchester der Burgwache und Polizei der Tschechischen Republik“. Hier stand er erstmals einem Blasor- chester vor. Ab 1961 war er dann zwei Jahre Dirigent am tsche- chischen Musiktheater „Na Fidlo- acce“ und zudem Chorleiter und Dirigent des Chors und Orches- ters des Schwermaschinenwerks „CKD Praha“. Ab 1963 bis zu sei- ner Pensionierung 1990 wurde er dann nach Ostrava berufen, zum damaligen Tschechoslowakischen Rundfunk, als Chefdirigent des Rundfunkorchesters. Gerade in seiner Rundfunkzeit hatte er viele Gelegenheiten sich musikalisch überaus vielschichtig aufzustellen und er erweiterte sein Tätigkeitsprofil in Richtung Musikregisseur, Dramaturg, Ar- rangeur und Komponist. All diese Einflüsse ließen ihn zu einem um- fassend gebildeten Musiker rei- fen, der neben seinen tsche- chischen Wurzeln auch die Moder- ne, Jazz und Pop aktiv erleben und erproben konnte. In dieser Zeit begann er zudem vermehrt in der nordmährischen Blasorchester- szene zu gastieren und seine Wege führten ihn über die Gren- zen hinaus bis nach Österreich und Deutschland. Da blieb es (Gott sei Dank) nicht aus, dass sein Interesse für Blasorchester zu komponieren stieg und er dies zunehmend für sich entdeckte. Seine hohe Ach- tung vor der Amateurmusik und sein breites Wissen um die unter- schiedlichen Leistungsfähigkeiten der vielen Orchester begünstig- ten, neben großer Musikalität, die Lebendigkeit und Spielbarkeit sei- ner Kompositionen, die er in allen Leistungsstufen geschaffen hat. Der Aufbau Der St. Thomas Choral ist für mich ein sehr berührendes Werk. Seine Melodik ist vergleichsweise schlicht, sehr liedhaft, in sich we- nig kontrastierend und ohne gro- ße Schnörkel. Nicht zuletzt des- wegen wirken die gut vier Minu- ten „wie aus einem Guss“. Seine Harmonik fußt auf tradi- tionellen Werten, ist aber keines Falls puristisch im barocken Ductus. Sie, so Pavel Staněk sel- ber, „ist so wie in der Popularmu- sik des 20. Jahrhunderts üblich, vielleicht etwas raffinierter“. Formal wechseln sich substan- ziell vier achttaktige Perioden in der Reihenfolge A – B – C – D – B 10 – D, ausgeweitet mit Schlusswen- dung und Zwischenspiel/Einlei- tung – B ab. Der Gedanke „B“ do- miniert das Werk und wird zum Schluss zu einem grandiosen Hö- hepunkt geführt. „Die letzten Tak- te sind eine Gipfelung (Höhe- punkt) der vorherigen Gradation (Steigerung) und gegen das For- tissimo der Trompeten und Posau- nen wurde zur Ergänzung des Klangs ein Kontrapunkt von Flü- gelhörnern und Tenören verwen- det.“ So der Komponist. Die dynamische Anlage, die quasi eine beständige Steigerung darstellt, stützt und verstärkt alle Interpretationsspielräume. Musi- kalischer Ausdruck ist von Takt zu Takt „zu atmen“. Zudem bereitet Staněks Gespür für eine kluge In- strumentation jedem Musiker schlüssige und nachvollziehbare Spielfreude. Die Orchester haben aber nicht nur die Möglichkeit große Spannungsbögen zu bilden. Die Partitur lässt immer wieder Lücken für kammermusikalisches und erlaubt, vielmehr fordert, so- listisches Geschick. Der St. Tho- mas Choral erweckt auf diese Wei- se sensibel Wahrnehmungsener- gien eines jedes Musikers. Sowohl die Wahrnehmung seiner selbst, wie auch die Wahrnehmung seiner Mitspieler/innen. Ein paar Hinweise, nicht nur für Dirigenten*innen natürlich die, die die Linie stär- ken – ermöglichen eine wohl- klingend abgerundete Steige- rung. - Den Aufbau piano zu forte ohne Härten und gleich zu Beginn mit viel Wärme und Breite zu- lassen. - Das piano in Takt 9 decrescen- dierend stabil aushalten (Ton- längen), damit der Einsatz in Takt 10 nahtlos vollzogen wer- den kann. - B: Holzbläser präsentieren den zum ersten Mal erscheinenden „B-Teil“ – recht mild in der Dy- namik, die dabei bewusst „Luft“ lässt, für kleine „Binnendyna- miken“ (phrasierende crescen- di). - Wie schon zu Beginn bringen übergebundene Auftakte durch minimale Stauung kurze Span- nungsmomente, die sich leicht auflösen, aber für Aufmerksam- keit sorgen. - Takt 17 gebührend aushalten und den „kleinen Schwung“ der überleitenden hohen Hölzer (Flöten / Es-Klarinette) in Ver- bindung mit dem crescendie- renden Auftakt zu Takt 18 sanft nutzen. - C: Das Blech dominiert zu- nächst im mf, bevor das Werk in Addition der Holzbläser kurz - A: Aus einem Ferma- tenauftakt entwickelt sich, addiert über 2 + 2 + 4 Takte, die Me- lodielinie über ver- schiedene Instrumen- te verteilt. Somit füllt sich zunehmend die Partitur und bildete die erste 8-taktige Pe- riode heraus. Das Werk eröffnet ohne Einleitung. (Wenn man von der Auftakt- fermate einmal ab- sieht) - Die zusteigenden In- strumente – in Takt vier besonders die, die in die Lücke sto- ßen – und in Takt fünf